„FRAUENVERSTEHER“ …
Letzte Woche am Weltfrauentag bin ich wieder über das Wort gestolpert. „Frauenversteher“ ist wohl gemeinsam mit Warmduscher, Schattenparker oder Jeansbügler das beliebteste Synonym für „Weichei“. Ja – ich hab das schon verstanden mit der Ironie und so … trotzdem: mit dem Frauenversteher komme ich nicht klar. Warum ist dieser Begriff auch nach dem Abflauen dieses Wortschöpfungstrends noch immer negativ konnotiert? Schließlich ist „Verstehen“ (und Frauen natürlich erst recht) doch etwas ganz Wunderbares.
Die Überlegung, warum es den Ausdruck „Männerversteherin“ nicht gibt spare ich mir für diesmal. Die Unterschiede wurden uns ja bereits in der einschlägigen Mars/Venus – Literatur vermittelt und durch die Neuropsychologie erforscht. Was sind also die Gemeinsamkeiten, bzw. was gilt denn grundsätzlich, wenn es um’s „Verstehen“ unserer Mitmenschen geht?
Zunächst hat die Medaille wie immer zwei Seiten: verstehen und verstanden werden.
Verstanden werden, das fühlt sich gut an. Darum suchen wir uns Gleichgesinnte, Gleichaltrige, Menschen mit ähnlichen Hobbys oder Lebensgeschichten. Weil die uns verstehen. Weil sie nachempfinden können, was uns antreibt, welche Gefühle, Hoffnungen oder Ziele. Weil man gemeinsam fachsimpeln und sich gegenseitig inspirieren kann, oder auch mal miteinander rumjammern. Ein Beispiel: vielleicht verstehen Sie nicht, was einen Angler motiviert, sich abends stundenlang, umschwirrt von Blutsaugern schweigend an einen See zu setzen und auf’s Wasser zu starren, um am Ende vielleicht ohne einen Biss wieder nach Hause zu gehen. Andere Angler, die verstehen das! In wessen Gesellschaft fühlt sich der Angler also wohl – genau mit anderen Anglern! Noch ein Beispiel: Sie verstehen nicht, warum Ihre 13-jährige mit der Pfirsichhaut es für eine gute Investition hält, ihr ganzes Taschengeld im dm-Markt gegen Beauty-Produkte einzutauschen – die gleichaltrigen Mädels aber schon. Und das ist gut so.
Diese Beispiele haben „nur“ mit unterschiedlichen Hobbys bzw. Altersgruppen zu tun. Trotzdem können bereits auf dieser Ebene handfeste Konflikte entstehen, wenn ein Mensch sich unverstanden fühlt. Es hängen schließlich eine Menge Faktoren damit zusammen – Zeit, Geld, Freunde, Ausgleich, Selbstverwirklichung, Anerkennung, die eigenen Werte. Ginge es um Lebensentwürfe, große Träume oder existentielle Fragen so könnte ein dauerhaftes „sich unverstanden fühlen“ direkt in die Krise oder zum Beziehungsabbruch führen.
Wann haben wir das Gefühl, der / die Andere ist ein(e) Nicht-Versteher(in)? – ach ja, „der/die Versteher-in“ schreibe ich jetzt nicht die ganze Zeit – dafür haben Sie sicher Verständnis und es ist ja klar, dass immer alle Geschlechter gemeint sind.
Vielleicht, wenn Sie mit einem Quengler oder Nörgler zu tun haben („musst Du denn schon wieder zum Training/Überstunden machen/rumputzen/telefonieren … Du warst in letzter Zeit immer öfter … kannst Du nicht endlich mal den Rasen mähen/Französisch lernen/dies und jenes erledigen … muss das sein?“). Das nervt doch einfach nur. Sie wollen nicht sich nicht rechtfertigen oder diskutieren. Glaubt er tatsächlich, damit ließe sich was erreichen? So jedenfalls erst recht nicht!
Allerdings – Ja-Sager empfinden wir auch nicht als verständnisvoll („da hast Du sicher recht….das sehe ich ganz genau so…wenn Du meinst…ganz wie Du willst…“) Ein bisschen Zuspruch ist ja gut und recht, aber zuviel ist auch irgendwie unglaubwürdig. Wenn der immer dasselbe denkt wie Sie, denkt er selber nix? Oder ist es ihm einfach egal? So ähnlich sind auch Beschwichtiger und „immer gleich von sich-Erzähler“ (aaach…das ist doch nicht so schlimm…bei mir war das sogar mal….) – „nicht so schlimm“???? wenn hier gerade Ihr Weltbild aus den Fugen gerät??? Das Problem ist mindestens der Mount Everest!!! …und da war der noch nie!!!
Oder steht vor Ihnen ein Besserwisser (jaja, aber schau mal … überleg doch mal! … das kannst Du gleich sein lassen … ach mach Dir keine Sorgen!…was hast Du Dir dabei gedacht??!) Der hält sich wohl für besonders schlau. Das hat Ihnen gerade noch gefehlt, dass jemand versucht Ihnen etwas auszureden oder einzureden. Sie machen sich schließlich völlig zu Recht über irgendetwas Sorgen bzw. Gedanken und der Spezialist für Ihre Probleme sind und bleiben Sie selbst.
Am stärksten ins Verständnis-Defizit bringt Sie ein Kritiker (Du kannst doch nicht einfach …Du spinnst ja … so geht das nicht…kommt nicht in Frage!) – wohlgemerkt einer, dessen Kritik weder sachlich noch fundiert ist, sondern einfach nur „von oben herab“. Nicht auf Augenhöhe, nicht wertschätzend, nicht konstruktiv- gekrönt von einer Killerphrase – Ende der Diskussion!
Das bringt uns zur Rückseite der Medaille: „verstehen“
Hmm… – ich glaube, wir müssen und können nicht alles verstehen. In diesem Fall finde ich es völlig ausreichend, wohlwollende Toleranz zu üben, keine ungefragten Urteile und Bewertungen abzugeben, genauso wenig, wie noch so gut gemeinte Ratschläge oder Hilfestellungen. Es gibt eben Erfahrungen, die jeder selbst machen muss. Und oft reicht auch: einfach in den Arm nehmen – ohne Worte, ohne Kommentar! Wenn es allerdings ein Problem zu lösen gibt und uns eine Person und die Beziehung zu dieser Person wichtig ist -egal ob es sich um unsere Partner, Kinder, Eltern, Geschwister, Nachbarn oder Arbeitskollegen handelt, tun wir diesem Menschen und nicht zuletzt uns selbst einen Gefallen, wenn wir es schaffen, ihn wirklich zu verstehen.
Weil wir uns selbst weniger ärgern und nicht so leicht verletzbar sind, wenn wir den Anderen verstehen. Wir erkennen dann, dass es NICHT seine Beweggründe sind uns zu ärgern oder Schwierigkeiten zu bereiten. Auch nicht, dass er einfach ein egoistischer Idiot ist, oder eine hysterische Heulsuse etc..
Und gerade weil das bei flüchtiger Betrachtung, auf den ersten Blick, im Eifer des Gefechts oder unter Zeitdruck oder im Wald unter den vielen Bäumen ziemlich schwer zu erkennen ist, müssen wir das wirklich wollen, das mit dem Verstehen. Wir müssen uns bewusst DAFÜR entscheiden. Das kann in Arbeit ausarten. Zum einen müssen wir richtig zuhören, ohne uns schon parallel eine Meinung zu bilden oder nach stichhaltigen Gegenargumenten zu suchen. Wir können uns dafür sensibilisieren, ob wir gerade in die Rolle des Kritikers oder eine andere der vorhin genannten Rollen schlüpfen. Wir können solange hinterfragen bis wir zum Ursprung oder Kern der Sache vorgedrungen sind, indem wir z.B. die „7 Why“ anwenden, bzw. eben soviel „Warums“ bis wir glauben, wir könnten jetzt die Sicht des Anderen genauso gut vertreten, wie unsere Eigene – theoretisch – weil wir die Zusammenhänge und die Motivation des Anderen jetzt verstehen, nicht weil wir sie in allen Punkten befürworten. Jetzt sollten wir uns noch versichern, ob wir tatsächlich alles so verstanden haben, wie es der Andere verstanden wissen will: „Habe ich richtig verstanden dass Du….“ Möglich, dass das noch einige Male hin-und her geht bis es heißt „ja genau“ und sich der Knoten ganz löst. Das fühlt sich toll an. Wenn es gar nicht klappen will, können Sie das in einer Mediation üben und ausprobieren.
Haben Sie Lust in die Erlebnis- und Gedankenwelt anderer Menschen einzutauchen? Das lohnt sich und ist spannend. So werden wir immer bessere „Menschenversteher“.